„Nach innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Weiten, die Vergangenheit und die Zukunft.“Dieses Wort des Dichters Novalis lässt sich treffend auf Walburga Puff beziehen, denn sie versteht ihren Lebensweg als eine immerwährende Suchbewegung und ihr künstlerisches Schaffen als einen spirituellen Prozess.
In der Lektüre kunsttheoretischer, philosophischer und biblischer Texte gewinnt die studierte Romanistin und Germanistin intellektuelle Erkenntnisse, darüber hinaus erfährt sie in der Meditation von Bibelworten deren existentielle Bedeutung. Durch das schweigende Hineinhören in die eigene Seele entstehen innere Bilder und Klänge, die Walburga Puff auf der Leinwand mit Farben sichtbar machen will. So kann sie das ausdrücken, über das sich schlecht reden lässt, sei es über das göttliche Geheimnis, sei es über das intime Innenleben des Menschen.
Immer wieder kreist das künstlerische Wirken der Malerin um den Menschen und das Gelingen und Scheitern von Beziehung. Für eine 2006 realisierte Gruppenausstellung entstand eine zehnteilige Gemälde-Reihe, in der sie auf hochformatigen Bildern die Tunika als Sinnbild für die transparente Hautmembran in unterschiedlichen, stets intensiven Farbtönen und -schattierungen im Farbschema zwischen rot, blau und violett entwirft, die vor einem dunklen Hintergrund mal mehr, mal weniger Licht durchlassen. Auf den Bildern nehmen die Gewänder jeweils die gesamte Fläche ein. Über das Organ Haut werden Nähe und Distanz erfahrbar, Abweisung oder zarte Berührung, Beziehung oder gar Freundschaft. In der mehrfachen Wiederholung des Tunika-Motivs enthüllt sich die Suche der Künstlerin nach der „ursprünglichen, leuchtenden Haut“,nach der eigenen Identität.
Von diesen hochformatigen Ölgemälden unterscheidet sich das aus vier Tafeln bestehende Gesamtkunstwerk (2002), das Walburga Puff „Abergeister“ nennt, ein Begriff, der ihr bei dem Theologen Fridolin Stier begegnet ist. In einem spinnennetzartigen Gebilde, das sich über die ineinanderfließenden düsteren Acrylfarben auf den vier Tafeln ausbreitet, wirken diese „Abergeister“ wie lebensbedrohliche Kräfte. Aus einem Chaos von Gefühlen wie Verzweiflung, Schmerz oder Wut ist eine klebrige Masse geworden, die den Menschen binden, an der Lebensentfaltung hindern und so den eigenen Lebensweg blockieren kann. Begegnung oder gar Beziehung werden verhindert oder wirken sich zerstörerisch aus. Durch die bewusste Hängung der vier quadratischen Tafeln ergibt sich in der Mitte die Form eines Kreuzes, das für die Künstlerin von existentieller Bedeutung ist. Nicht nur hier, sondern immer wieder meditiert sie das Thema Sinn und Unsinn menschlichen Leidens in dem Vertrauen und in der Hoffnung, dass sich das Leid, die „Abergeister“, durchkreuzen und besiegen lassen und ein gelingendes Leben möglich werden kann.
In einigen, oft im Laufe mehrerer Jahre entstandenen Gemäldezyklen fragt die Künstlerin tastend danach, wie die Verklebungen und Verhärtungen der Seele aufweichen und sich lösen können. In der Meditation begegnen ihr große biblische Gestalten, deren innere Prozesse und Weggeschichten eine starke Faszination und Wirkung auf sie ausüben und ihr die Möglichkeit geben, diese mit dem eigenen seelischen Erleben in Verbindung zu bringen. In der Betrachtung des alttestamentlichen Propheten Elija, der Maria Magdalena oder eben des Jesus von Nazaretauf seinem Leidensweg am Kreuzentdeckt sie Geschichten der Er-Lösung und der Befreiung.
In dem Elijazyklus (2010) bringt sie die Phasen des inneren Weges und den Prozess des Heilwerdens auf mehreren Bildern zum Ausdruck. Während sie im ersten Gemälde die Verzweiflung des lebensmüden Propheten in düsteren und bedrohlichen Farben einfängt, drückt sie in einem anderen Bild die Wüstensituation und das Gefühl der inneren Leere des Elija nicht nur durch das Auftragen von graubraunen Farben, sondern auch durch das Einarbeiten von Sand aus. In einem nächsten Gemälde werden Eindrücke der inneren Reinigung und Befreiung sichtbar. Die Reihe endet im fünften Bild mit einem Leuchten: Inmitten erdgebundener roter ineinanderfließender Farben scheint strahlendes Gelb hervor. Licht wird geboren. Ein Durchbruch in das Leben entsteht. Die dunklen Mächte des Todes werden nicht das letzte Wort haben, sondern Licht und Leben werden sich durchsetzen, schon hier und jetzt. Hoffnung auf Neuschöpfung inmitten des Lebens. Beziehung wird möglich.
Der Blick auf den Anfang des Lebens, die Schöpfung, und die Neuschöpfung und Er-Lösung in Jesus Christus sind Themen, die Walburga Puff aus der Betrachtung des ersten biblischen Schöpfungsberichtes und des Johannesprologs gewinnt. Das in der Bilderreihe dominierende Blau verbindet die Künstlerin mit Unendlichkeit, Weite und Freiheit. Das entspricht den persönlichen Werten und Vorlieben der Wahl-Französin, für die Weite wichtig ist bei gleichzeitiger Sehnsucht nach Vertiefung des Lebens. Durch das intensive Blau des Himmels scheint das Licht hindurch, mal zurückhaltend, mal stärker. In schemenhaften hebräischen Schriftzeichen verleiht sie ihren Bildern etwas Visionäres: Ausdruck der Sehnsucht nach der Nähe und Schau Gottes, der sich jedoch bei dem Versuch, ihn festzuhalten, immer wieder entzieht. So wird die Himmelsfarbe zum Ausdruck der Verborgenheit und des göttlichen Geheimnisses. Das gleiche Thema geht sie mit anderen technischen Mitteln bei ihrer Reihe „Antlitz des Unsichtbaren“ an. Auch in diesem erst 2019 entstandenen Zyklus dominieren zum einen die Blautöne, zum anderen die erdgebundenen Farben. Auf die Leinwand hat sie in dieser Gemäldereihe jeweils in einer einfachen geometrischen Rechteckform hauchdünnes transparentes Japanpapier gelegt. Wie durch die Membran der Haut leuchten die unterlegten Farbschichten hindurch und geben nur eine Ahnung des dahinter Verborgenen, des ganz Anderen.
Die Gemälde und auch Radierungen von Walburga Puff sind sichtbar gewordene Schwingungen und innere Bilder. Sie sind alle spirituell durchdrungen. Sie verdienen kein flüchtiges Flanieren, vielmehr laden sie zur visuellen Begegnung und zu einem bewussten Sich-Einlassen ein, um dem innewohnenden Geist sowie den eigenen Empfindungen nachzuspüren.
Eva-Maria Will